Tefles, 01.08.2004

Gelungenes Debüt von Paul Sichermann in der deutschen Berglauf-Nationalmannschaft

„Jeder einzelne Pulsschlag hämmert dir im Kopf rum"

Bis zu 27-prozentige Anstiege gemeistert - Als Vierter bester Deutscher beim Grand Prix in Telfes

ANSBACH (FLZ, 4.8.2004, Herbert Ruff)- Der Krankenhausberg in Ansbach, für Normalsterbliche zu Fuß oder auf dem Rad eine echte Herausforderung, ist für Paul Sichermann nur „ein kleiner, sanfter Hügel, den man mit links nimmt". Sichermann kennt andere, „giftige" Steigungen, bei denen man höllisch aufpassen muss, nicht rückwärts wieder hinabzustürzen. Auf dem Weg nach oben hat es der ausdauernde Krankenpfleger binnen kürzester Zeit weit gebracht: Am vergangenen Wochenende debütierte er in der deutschen Berglauf-Nationalmannschaft und belegte beim Grand Prix, dem Schlickeralmlauf im österreichischen Tel-fes, als bester Deutscher mit einer herausragenden Leistung den 4. Platz.

„Dafür gab es 300 Euro Prämie. Das ist mein zweithöchstes Preisgeld, das ich je erhalten habe", freute sich der 39-Jährige über die Vergütung ebenso wie über das Lob von Bundestrainer Wolfgang Münzel, der Sichermann als „feste Größe in der Nationalmannschaft" sieht. Und auf noch was ist der dreifache Familienvater stolz: Er ist der erste Läufer, der für einen Ansbacher Verein - die LG Kreis Ansbach/ TSV Ansbach - in eine deutsche Nationalmannschaft berufen wurde.

Auf den Grand Prix hatte er sich gut vorbereitet, reiste erstmals schon einen Tag vor dem Wettkampf mit der Eisenbahn an „Ich hatte viel Zeit und wollte das Ganze ohne Hektik angehen." Auch vor dem Start, der auf 10 Uhr terminiert war, fand Sichermann Ruhe. „Ich weiß auch noch nicht genau, warum das so ist, aber Bergläufer laufen sich vor dem Wettkampf nicht richtig warm." Spontan entschloss sich so der Ansbacher vor dem Start noch zu einem Gottesdienstbesuch. „Ich bin evangelisch. Erstmals war ich bei einem katholischen Gottesdienst. Für mich war das ein Erlebnis."

Nach der inneren Einkehr konzentrierte sich der Bayerische Vize-Meister auf den Wettkampf. „Ich war ganz froh, dass ich bei meinem Nationalmannschafts-Debüt nicht gleich im Nationaltrikot laufen musste. Mit meiner persönlichen Ausstattung fühlte ich mich einfach wohler."

Elf Kilometer und 1270 Höhenmeter galt es beim im Stubai-Tal, rauf auf die Schlickeralm, zu bewältigen. Die ersten zwei Kilometer in Telfes waren noch flach, genügend Zeit also zum Einlaufen. Es waren aber auch zwei Kenianer und der neuseeländische „Wunderläufer" Jonathan Wyatt am Start, die gleich mächtig für Tempo sorgten. „Ich bin im Flachland ja auch schnell, aber was die beiden Afrikaner veranstaltet haben, war schon unglaublich. Die haben uns auf den ersten Runden mit ihrem Höllentempo regelrecht durchs Dorf geschleudert", so Sichermann, der bei der ersten Steigung auf Rang 15 zurückgefallen ist und sich dann an die Fersen von Dr. Alexander Rieder vom LSV Kitzbühel heftete, „der mich wieder nach vorne gezogen hat."

Mit einer Tempoverschärfung arbeitete sich der Ansbacher auf Rang 6 vor und hatte inzwischen auch die beiden Afrikaner hinter sich gelassen „Das hatte mich schon gewundert, aber auch motiviert."

Die steilsten Abschnitte (zwei Drittel wurden auf Asphalt gelaufen) lagen noch vor ihm, darunter eine Passage mit 27 Prozent Anstieg! „Da rast der Puls auf 200 hoch und jeder einzelne Pulsschlag hämmert dir im Kopf rum." Inzwischen war Sichermann auf Rang 4 vorgelaufen. Bei Kilometer acht hatte sich Bundestrainer Münzel positioniert, der den Ansbacher zusätzlich motivierte. „Ich habe ihn lange und laut rufen hören: Den Österreicher vor dir packst du auch noch."

Der Österreicher auf Rang 3 war Markus Kroll vom LSV1990 Kitzbühel, zu dem Sichermann aufgelaufen war, der aber vor ihm lag und keinerlei Anzeichen von Erschöpfung erkennen ließ. „Ich musste mich direkt hinter ihm liegend enorm auf die Streckenführung konzentrieren und bin sozusagen in seine Fußstapfen getreten. Die letzten zwei Kilometer waren sehr steil und zogen sich endlos in die Länge. Ich glaube, für diese letzten 2000 Meter haben wir 15 Minuten gebraucht."

Und dann der Schlussanstieg. „Wir hatten das Waldstück hinter uns und einen Kilometer hoch über uns das Ziel Schlickeralm. Man kann sich nicht vorstellen, wie lang und beschwerlich so ein Kilometer werden kann. Selbst wenn im Ziel eine Million Eurp auf mich gewartet hätten, den zähen Österreicher hätte ich nicht mehr überholen können." Zumal der nur knapp vor ihm hegende Österreicher auf den Steilpassagen eine spezielle Berglauftechmk anwandte, die Sichermann noch nicht kannte: „Der stützte sich abwechselnd mit den Händen auf den Knien ab und bekam so mehr Druck auf die Beine." Sechs Sekunden waren es, die Kroll in 1:02:15 Stunden als Drittplatzierter vor Sichermann (1:02:21) ins Ziel rettete. Aber auch mit Rang 4 war der Ansbacher hochzufrieden. „Der Bundestrainer sagte mir, dass er nur einen deutschen Läufer kennt, der auf dieser Strecke eine Minute schneller war."

Von einem „anderen Stern" war die Siegerzeit von Jonathan Wyatt, der die elf Kilometer als einziger unter einer Stunde in 55:32 Minuten bewältigte. „Das ist der Lance Armstrong unter den Läufern", zeigte sich Sichermann über diese Leistung beeindruckt. Wyatt, Rekordhalter vieler Strecken, läuft für Neuseeland bei den Olympischen Spielen in Athen auch den Marathon mit einer Empfehlung von 2:13 Stunden über die 41,195 Kilometer.

Sichermann, der heuer die Qualifikation für die Weltmeisterschaft nur um einen Platz verpasste, hat für seine neue Passion noch große Ziele: „Bei der nächsten WM möchte ich unter die ersten Drei kommen." Vorerst muss er aber abwägen, ob er lieber den nächsten Grand Prix, den Challenge Stellina im italienischen Susa am 22. August, oder die Deutschen Meisterschaften am 29. August läuft. Die Tendenz geht zum Grand Prix. Bis dahin fährt Sichermann mit dem Mountainbike jeden Tag den Krankenhausberg hoch zur Arbeit ins Klinikum. Für ihn bedeutet der „kleine, sanfte Hügel" Regeneration.

Herbert Ruff

 

Gesamtwertung Männer

1. Wyatt, Jonathan            72 Neuseeland          0:55:32 1. M
2. Brown, John                69 Großbritannien      1:01:37 1. M35
3. Kröll, Markus              72 LSV 1990 Kitzbühel  1:02:15 2. M
4. Sichermann, Paul           65 LG Kreis Ansbach/D  1:02:21 2. M35
5. Krupicka, Robert           78 Tschechien          1:02:36 3. M
6. Schmuck, Helmuth           63 LCC Wien            1:03:06 1. M40
7. Rieder, Dr. Alexander      69 LSV 1990 Kitzbühel  1:03:21 3. M35
8. Reitberger, Rudi           71 LCC Wien            1:03:37 4. M
9. Redl, Alois                72 LCC Wien            1:03:51 5. M
10. Castaner Bernat, Cristofol 72 Mallorca/E          1:04:16 6. M

 

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